WESHALB WIR EIN TRENNBANKENSYSTEM BRAUCHEN
Stellen Sie sich vor, sie wollten ein Geschäft eröffnen und bräuchten dazu nur 2,5 Prozent eigenes Kapital. Den grossen Rest von 97,5 Prozent würden Ihnen andere beisteuern. Und der Staat würde Ihnen erst noch die Garantie abgeben, dass Ihr Geschäft nicht Konkurs gehen kann.
Eine solche Wirtschaft gibt es nur in Schlaraffia. Denn bei uns muss ein Firmengründer nicht 2,5 Prozent, sondern das Zehn- oder Zwanzigfache davon an Eigenkapital aufbringen, wenn er darauf Bankkredite in Anspruch nehmen will.
Doch bei den beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse sind solche unrealistisch tiefen Quoten von nur 2,5 % an risikotragendem Eigenkapital gemessen an der Bilanzsumme Realität. Mit andern Worten: mit 2.50 Franken Eigenkapital nehmen sie 97.50 Franken an Kundengeldern entgegen und leihen sie wieder aus. Kein Wunder, dass sie mit einem so kleinen Puffer bei Zahlungsausfällen grosser Kunden selber hochgradig gefährdet sind. Bei den Kantonalbanken, Raiffeisenbanken, Migros- und Coop-Bank beträgt diese Eigenmittelquote demgegenüber 7 bis 10 Prozent oder mehr.
Seit dem Beinahe-Zusammenbruch des Weltfinanzsystems vor genau fünf Jahren wurde bezüglich Bankensicherheit zwar einiges verbessert: Es wurden die zerstörerische Deregulierung teilweise zurückbuchstabiert, das Reporting über die Kreditrisiken verbessert, die Aufsicht durch die Notenbanken in den meisten Ländern verstärkt, gewisse Notfallpläne eingerichtet, die Auszahlung der Boni für Bankmanager auf eine längerfristige Risikobetrachtung gestreckt. Doch die Eigenmittelausstattung der grossen internationalen Banken in der Schweiz und in Europa ist nicht besser geworden.
Die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse sind kaum sicherer geworden. Sie gehören, gemessen an der Bilanzsumme, heute zu den tiefstkapitalisierten Geschäftsbanken der Welt. Dennoch dürfen sich ihre Chefs in Sicherheit wähnen: Der Staat kann eine Grossbank, bei der hunderttausend KMU-Betriebe ihr Konto für die Lohnzahlungen unterhalten, gar nicht fallen lassen. Grossbanken sind „too big to fail“, – zu gross, um zu scheitern. Ihr Garant ist letztlich der Steuerzahler.
Was sich verändert hat, ist die Täuschungskultur. Basierend auf den „Basler Empfehlungen“, geprägt von der Lobbyarbeit der internationalen Bankkonzerne, werden die Eigenmittel heute nämlich nicht in Prozent der absoluten Bilanzsumme, sondern in Prozent von sogenannt „risikogewichteten“ Ausleihungen dargestellt. Die Risikoeinschätzung liegt im Ermessen der Banken. Die Finanzmarktaufsicht kann sie kaum nachprüfen. Pro 100 Franken Bankdarlehen für die Hypotheken-Grundfinanzierung werden zum Beispiel nur 35 Franken eingesetzt. Damit verdreifachen sich rechnerisch die Eigenmittel in Prozent der risikogewichteten Anlagen. Aus den 2,5% absoluter Eigenmittelquote nach internationalem Standard (Leverage Ratio) entsteht mit solchen Rechentricks bei der UBS eine publizierte risikogewichtete Eigenkapitalquote von 11.2%. Die Risikobewertung ist eine reine Ermessensfrage und öffnet der Manipulation Tür und Tor.
Selbst den in den Bankeninteressen eingebetteten NZZ-Journalisten sind diese manipulationsanfälligen, risikogewichteten Fiktiv-Kennziffern nicht mehr geheuer. Wenn ein Journalist heute solche Zahlen unkommentiert wiedergibt, hat er ein Kompetenz- und ein Glaubwürdigkeitsproblem!
Die Politik wird aktiv
Nun kommt die Frage der Krisenfestigkeit der Grossbanken endlich wieder aufs politische Tapet. Der Alt-Unternehmer Christoph Blocher (SVP) und der Gewerkschafter Corrado Pardini (SP) schlagen nach wochenlanger vertraulicher Vorbereitung eine grundsätzlichere Lösung für die Grossbankenrisiken vor. Mit zwei gleichlautenden Parlaments-Motionen und später allenfalls mit einer Volksinitiative fordern sie gemeinsam eine Auftrennung der Grossbanken in eine Geschäftsbank, die die Volkswirtschaft mit Krediten versorgt, und eine Investmentbank, die spekulative Geschäfte mit Derivaten und Devisengeschäften abwickelt. Ein solches Trennbankensystem ist kein Schreibtischmodell, sondern international erprobt: Die USA praktizierten von 1933 bis 1999 dieses System. In diesen sechs Jahrzehnten hatte Amerika keinen namhaften Bankenzusammenbruch. Jetzt wird es in Amerika wieder gefordert. Deutschland und andere Länder mit starken Finanzplätzen haben neulich den Wechsel zum Trennbankensystem definitiv beschlossen.
Laut jüngster Erhebung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ werden auf dem Finanzplatz Schweiz täglich Devisengeschäfte und Zinsderivate von umgerechnet 230 Milliarden Franken umgesetzt – wohlverstanden: 230 Milliarden Franken Finanztransaktionen pro Tag! Dies entspricht mehr als dem gesamten Exportvolumen in einem Jahr. Wenn solche hoch riskanten spekulativen, kurzfristigen (und kurzsichtigen) Währungstransaktionen, bis hin zum Sekundentrading, schief laufen, genügt der Eigenkapitalpuffer von zwei bis drei Prozent bei den Grossbanken niemals.
Praktisch alle unabhängigen Finanzwissenschafter von links bis rechts halten heute die Eigenmittel der Grossbanken für gefährlich tief. Die Nationalbank betätigte bereits Mitte 2012 die Alarmglocke. Der ehemalige Präsident der Expertenkommission zur Vorbereitung der geltenden Eigenmittelregelung, Peter Siegenthaler, hatte jetzt die Grösse, die Mängel des Systems einzuräumen: „Ich habe den Glauben an die risikogewichteten Eigenkapitalvorschriften etwas verloren.“ Und weiter: „Wir müssen nochmals über die Bücher.“ Doch die Finma, die laut Bankengesetz die Eigenmittelvorschriften eigentlich durchsetzen sollte, sondert nur Beschwichtigungen ab. Der zuständige Chef der Bankenaufsicht in der Finma, Mark Branson, war selber UBS-Banker und ist befangen in der Bankenlogik. Meines Erachtens wäre die gesetzliche Grundlage vorhanden, die ungewichtete Eigenmittelquote jetzt schon anzuheben.
Es braucht jetzt Leute, die den Mut aufbringen, die immer noch bestehende Hochrisikosituation bei den Grossbankkonzernen öffentlich zu benennen und die nötigen politischen Initiativen zu ergreifen. Blocher und Pardini haben die Brandgefahr erkennt. Man sollte den Brandschutz jetzt einrichten, nicht erst, wenn es wieder brennt.
(Dieser Text erschien zuerst im Tages-Anzeiger und Bund vom 17. September 2013.)