Abstract der Redaktion: Die Schweiz schliesst mit Deutschland (und anderen EU-Staaten) ein Abgeltungssteuer-Abkommen, das darauf abzielt, den Informationsaustausch zu unterlaufen. Die grösste Schwäche des Abkommens ist die Abschleichfrist bis zur Inkraftsetzung des Abkommens. Grundsätzlich kann die Abgeltungssteuer ohnehin nur eine Übergangslösung sein. Ein Ersatz für einen automatisierten Informationsaustausch über Kundensteuerdaten ist sie nicht. Die Schweiz sollte der EU eine moderate Beteiligung am Informationsaustausch anbieten.
Fragen:
- Soll die Schweiz die ausländischen Steuersünder schützen?
- Schädigt die heutige Haltung des Bundesrates den Ruf der Schweiz?
Das Abgeltungssteuer-Abkommen zwischen Deutschland und der Schweiz ist in beiden Ländern unter politischen Druck geraten. Es sollte auf den 1. Januar 2013 in Kraft treten. Doch es ist immer mehr angefochten und gefährdet.
Unterlaufen des EU-Programms
In der EU wollen 25 von 27 Staateneinen irgendwie automatisierten Informationsaustausch unter den Steuerämtern, bei dem die Bankengegenüber den Steuerbehörden – und nur gegenüber diesen – zur Auskunft verpflichtet sind. Auch die USA, Kanada und die OECD streben dieses System an. Nur zwei von 27 EU-Ländern legen sich quer: England, deren konservative Regierung in Sachen Finanzmarktregulierung seit langem einen Kleinkrieg gegen die andern EU-Staaten führt, und Österreich, in welchem die Banken wie bei uns die Illusion der Kundenanonymität hochhalten wollen. Ausgerechnet mit diesen zwei fiskalpolitischen Aussenseitern schliesst die Schweiz jetzt ein Abgeltungssteuer-Abkommen, das darauf abzielt, den Informationsaustausch zu unterlaufen. Das Abkommen mit Deutschland ist gerade deswegen heute in der Schwebe.
Ziel der Abgeltungssteuer war stets, die EU-Steuerharmonisierungsstrategie zu unterlaufen. Man versprach den abkommenswilligen Ländern eine Entschädigung als Köder. Als Gegenleistung erhoffte man von ihnen die Respektierung des schweizerischen Bankgeheimnisses.
Schweizer Bankiers haben in Deutschland, England und anderswo sogar professionelle Lobbyisten auf dortige rechtsbürgerliche Kreise angesetzt, um die Abgeltungssteuer zu verkaufen. Es waren die Finanzminister Frankreichs und Italiens sowie die EU-Kommission, die dem einen Riegel schoben. Die von Konrad Hummler (Bank Wegelin) und den Privat- und Auslandbankiers initiierte Abgeltungssteuer wird als Schlaumeierlösung gewertet. Sie ist eine verhandlungspolitische Sackgasse.
Die Banken sind uneins
Nicht alle Banken sind glücklich über diese Lösung. Von den 330Banken in der Schweiz sind nämlich nur etwa 30 bis 40 aktiv in der Werbung für ausländische Privatvermögen engagiert. Die Mehrzahl der Banken betreibt Inlandgeschäfte, und die beiden Grossbanken UBS und CS haben heute ohnehin mehrheitlich institutionelle Anleger wie Banken, Versicherungen und Pensionskassen als Kunden. Diese brauchen kein Bankgeheimnis.
Bei uns hat kaum jemand den Mut, offen auszusprechen, welchen nachhaltigen politischen Schaden die Verfechter von Abgeltungssteuer und Bankgeheimnis für den Ruf der Schweiz in aller Welt anrichten.
Wenn das Abgeltungssteuer-Abkommen in Deutschland innenpolitisch aufläuft, dann hat sich die Schweiz dies selber eingebrockt. Denn an über 10 Milliarden Euro Steuerertrag aus der rückwirkenden Regularisierungsabgabe, wie dies der deutsche Bundesfinanzminister den Bundesländern in Aussicht gestellt hat, glaubt heute in Deutschland niemand mehr.
Schlupfloch eingebaut
Hauptgrund für die Desillusionierung ist die von den SchweizerUnterhändlern erzwungene «Abschleichfrist» für deutsche Vermögen: Wenn ein deutscher Vermögensbesitzer vor dem31. Dezember 2012 sein Kapital von der Bank in der Schweiz zu einer(Schweizer) Bank in Ostasien oder zu einem Vermögensverwalter abzieht und sein Schweizer Bankkonto schliesst, spart er sich die Regularisierungsentschädigung von 21 bis41 Prozent auf dem Kapitalbestand der letzten zehn Jahre. Die in der Nachverhandlung erzielte Erhöhung des Maximalsatzes von 34 auf 41 Prozent hat die Wahrscheinlichkeit des Abschleichens noch erhöht. Nach dem 1. Januar 2013 kann er dann ohne rückwirkende Entschädigungspflicht zurückkommen.
Der frühere CEO von CS und UBS, Oswald Grübel, erklärte unmissverständlich, zahlreiche deutsche Kunden seien daran, ihr Vermögen (vorübergehend) nach Singapur oder anderswohin zu verlegen, um sich die saftige Regularisierungsentschädigung zu ersparen. Die Deutschen nennen sie «Abschleicher», die Schweizer Unterhändler neutraler «Verschwinder». Diese Abschleichfrist bis zur Inkraftsetzung des Abkommens entpuppt sich jetzt als grösste Schwäche des Abkommens. Hätte man als Stichdatum den Zeitpunkt seiner Unterzeichnung und Veröffentlichung gewählt (September2011), wäre das Abkommen in Deutschland heute wohl ungefährdet. Die nachträgliche, anonymisierte Mitteilung an die deutschen Behörden über die Summe der Verschwinder ist natürlich kein Ersatz.
Die Abgeltungssteuer mag eine Übergangslösung sein. Ein Ersatz für einen automatisierten Informationsaustausch über Kundensteuerdaten ist sie nicht. Die Banken würden mit Letzterem sogar besser fahren als mit jeder Art von «Weissgeldstrategie», die die Bankangestellten zu mitverantwortlichen Ministeuerexperten macht. Das hat der clevere Raiffeisen-Chef als Erster erkannt. Das weiss auch der Bundesrat, und das wissen viele in Bundesbern.
Nur spricht es niemand offen aus. Redlicher Weise müsste der Bundesrat gegenüber Parlament und Öffentlichkeit offen deklarieren, dass die Abgeltungssteuer-Abkommen nur eine Übergangsregelung darstellen. Denn das Steuererfassungssystem der EU und der USA wird sich OECD-weit durchsetzen. Das Steuerhinterziehungsgeheimnis der Banken hat schlicht keine Zukunft. Vorausschauend müsste der Bundesrat jetzt mit Brüssel Verhandlungen über ein Banken- und Steuerabkommen aufnehmen. Er müsste eine geregelte, moderate Beteiligung der Schweiz am Informationsaustausch anbieten. Sonst wird er wieder unter Druck geraten. Gewiss werden ihm die paar Ewiggestrigen unter den Bankern und Bürgerlichen und die Chefredaktoren von «Weltwoche» und NZZ erneut Willfährigkeit gegenüber dem Ausland unterstellen. Aber diese tragen ja keine Verantwortung – weder für die Moral noch für den Ruf unseres Landes.
Dieser Text erschien erstmals im Tages-Anzeiger und im Bund vom 17.April 2012.